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05.12.13

Die Grosse Heulsuse


Duden : Heul­su­se, die,Wortart: Substantiv, feminin, Gebrauch: umgangssprachlich abwertend, Worttrennung: Heul|su|se,Verwandte Form: Heulliese,Bedeutung: weibliche, seltener männliche Person, die leicht zu weinen beginnt, häufig weint






Meine Grosse ist zu einer Heulsuse mutiert. Weiss nicht genau, seit wann, aber es hält schon eine Weile an. Sie ist bald 6. Es gibt viele Situationen, die unvermeidbar zu einem Schluchzanfall führen. Gestern im Auto nach dem Hort. Situation: Das rote Elternheft (darin werden alle wichtigen Übertragungen an die Eltern und von den Eltern an die Schule eingetragen) ist verschwunden. Die Grosse sagt: „Du hast mir das rote Elternheft nicht gegeben.“ Ich sage: „Doch, erinnere Dich: ich habe unterschrieben und es Dir in die Hand gegeben, damit Du es wieder in Deinen Rucksack tust. Das war am Montag.“ Sie: „Schluchz, oh nein, ich habe es verloren, würg, heul.“Ich: „Nein, so weine doch nicht. Wir suchen es zu Hause und wenn wir es nicht finden, rede ich mit Deiner Lehrerin, es kann ja auch in der Schule verloren gegangen sein.“- „Oh nein, es ist für immer verschwunden, heul, schluchz.“

Wir suchen es immer noch. Es scheint tatsächlich verschwunden zu sein. Daraufhin hat die Grosse ein Heft gebastelt. Man muss dazu sagen, dass das Original eine handelsübliche A5-Heftausgabe mit einem roten Umschlag ist.  Die Grosse hat mehrere kleine Schmierblätter mit einem Prittstift zusammengeklebt und die Ober-und Unterseite mit rotem Buntstift ausgemalt. Ich sage: „Das ist aber schön, dass Du ein Heft gebastelt hast. Ich glaube aber, dass Deine Lehrerin Dir ein neues aus der Schule geben wird“. – „Schluchz.Heul. Oh nein, ich habe doch das Heft verloren, da muss ich doch ein neues Heft bringen.“ Es werden rote Flecken auf ihrem Gesicht und ihrem Hals sichtbar. – „Wenn Du ein neues Heft bringen sollst, dass kaufen wir eins und Du kannst Dein schönes Heft zu Hause behalten“. Hmmm. Weitere Heulattacke unterbunden.

Ich wende mich der Hausarbeit zu, es vergehen etwa 2 Minuten, bis ein lautes Weinen ertönt. Ich (leicht genervt) gehe dem Weinen nach und sehe die Grosse auf der Erde sitzen und sich den Kopf halten. Was ist passiert? Nun, der kleine Terrorzwerg hat ihr unvermittelterweise eine drübergebraten. Ich schaue, ob ich Blut o.ä. sehe, ist aber nix. Ich sage: „Tut es noch weh?“ – „Ja, wein, schluchz“. „Lass Dir nicht alles von dem Kleinen gefallen, ich werde ihm sagen, dass er Dich nicht hauen darf, aber trotzdem: lass es Dir nicht gefallen“.

Oft auch schon auf dem Schulhof gesehen: Ein anderes Kind tut ihr weh, sie rennt postwendend zur Aufsichtsperson, um mit weinerlicher Stimme zu petzen „Clément hat mich gehauen“. Woher hat sie das nur? Ich bin zwar dafür, die Erwachsenen über gewalttätige Kinder zu informieren, andererseits sich aber auch nichts gefallen zu lassen. Die Grosse gehört eher zur Sparte „Ich lass mir alles gefallen und heule dann einfach, vielleicht hat dann mein Gegenüber Mitleid.“
Das funktioniert hauptsächlich, um andere Familienmitglieder (ausser den Kleinen, der findet es lustig, wenn seine Schwester weint) zu erpressen, um ihr a) beim Aufräumen zu helfen („muahmuah, ich habe meinen Klebestift verloren, muahmuahmuah. Ich brauche ihn doch unbedingt, um fertig zu basteln, muahmuahmuah...“ rettende Antwort: „Weine nicht, wir räumen auf und dabei finden wir ihn bestimmt.“ Oder: „Räum bitte Dein Zimmer auf, ich helfe Dir auch!“ Antwort: „Schluchz, heul, NEEEIN, nicht die Playmobils verrücken (die überall auf dem Boden in einer nicht erkennbaren Logik verteilt sind), muahmuahmuahhaaa!“) b) Es ist morgens, ich öffne die Zimmertür und rufe fröhlich: „Guten Morgen, hast Du gut geschlafen?“ Die Grosse liegt im Bett, hat das erste Auge geöffnet und erspäht eine Jeans in meinen Händen, die sie anziehen soll. Ohne ein „Guten Morgen“ oder ähnliche nutzlose Floskeln zu betonen, fängt sie direkt an, zu greinen: „Ich ziehe diese Hose nicht an, NEIN, schluchz. Ich will mein Kleid anziehen, wein, schluchz“ „Es wird sehr kalt heute, ich fände es besser, wenn Du Dich warm anziehen würdest“ – „Schluchz, grummel, wein“ – „Du kannst gern morgen wieder Dein Kleid anziehen, da wird es nicht ganz so kalt wie heute“ – „hmmmm, schluchz.“  „Möchtest Du lieber eine andere Hose anziehen?“ ein zaghaftes, gehauchtes „Ja“ und ich habe es fast geschafft....weil alleine anziehen ist auch nicht mehr drin, seitdem ihr Bruder da ist. Wenn ich versuche, sie zu erpressen mit „Mir doch egal, gehst Du halt im Schlafanzug in die Schule“ oder „Wenn Du nicht mit uns frühstücken willst, kein Problem“ (ist eine Strafe, da sie es liebt, gemeinsam mit uns zu essen) kommt die gewohnte Reaktion: sie heult. Also ziehe sie an, ich weiss ja, dass sie es kann.

Das Anzieh-Theater spielen wir seit mittlerweile guten 5 Jahren....Wie sagte ich doch: im Alter von 1-3 Jahren sind Kinder am schwierigsten? Ich bin gerade dabei, meine Meinung zu überdenken.