Hallo Vater,
ich schreibe
"Vater", weil "Papi" oder "Vati" habe ich Dich
kaum genannt. Ich habe Dich eigentlich gar nicht gekannt. Hauptsächlich durch
Omis, Deiner Mutter, Erzählungen entwickelte ich ein Bild von Dir. Die
Erzählungen meiner Mutti kamen dann hinzu. Glaube mir, sie hat nie schlecht von
Dir gesprochen, obwohl Du das bestimmt dachtest. Obwohl, dachtest Du überhaupt
manchmal an mich, an uns? Das weiss ich nicht. Das ist eine der Fragen, die ich
Dir gern gestellt hätte. Omi hat nur Gutes von Dir erzählt, sie war
schliesslich Deine Mutter. Je älter ich wurde, desto mehr hat sich das Bild
jedoch verzerrt. Ich erfuhr, dass Omi das Unterhaltsgeld oft vorschoss, wir
erfuhren nie, ob Du es ihr auch immer wieder zurückerstattet oder einfach nur
profitiert hast. Ziemlich zeitig schon hat Mutti gesagt, dass es wohl besser
wäre, wenn Du mich nicht mehr siehst, da Deine seltenen Besuche mich immer
völlig aus der Bahn warfen. Du hast nie dagegen protestiert, sondern einfach
akzeptiert, Du hattest ja ohnehin keine Zeit. Als ob es Dir gelegen kam. Der
Sport (Handball) war immer wichtiger. Zur Einschulung hast Du mir einen
Olympiabären aus Moskau mitgebracht, auf den war ich unheimlich stolz. Später
gab es dann immer weniger bis keine Geschenke und Omi wollte alles ausgleichen,
was Du, ihr Sohn, ihrer Ansicht nach verpasstest. Sie hat sich überhaupt sehr
viel um mich gekümmert. Wahrscheinlich tat es ihr weh, wie wenig Interesse Du
zeigtest. Wir sahen uns nie oder nur zufällig, aber das kam einmal aller paar
Jahre vor. Du warst immer sehr distanziert. Als ich 18 Jahre alt wurde, dachte
ich, ich könnte den Kontakt wieder herstellen und Dich endlich kennenlernen,
aber Du wolltest nicht viel von mir wissen. Du hattest die Tochter Deiner neuen
Frau adoptiert, das reichte Dir wahrscheinlich.
An Omis
80.Geburtstag (ich war fast 20 Jahre alt) sahen wir uns wieder und ich weiss
nicht warum, aber ich hatte grosse Hoffnungen an diesem Tag. Ich dachte, wir
könnten mal zusammen ins Kino gehen oder so. Leider unbegründet. Mit 21 Jahren
fing ich nach abgeschlossener Ausbildung ein Studium an und Du verstandest
nicht die Notwendigkeit, mich finanziell zu unterstützen. Ich hatte
schliesslich schon einen Beruf. Mit Mutti haben wir erwogen, die Unterstützung
einzuklagen, da Du laut Gesetz dazu verpflichtet warst. Wir haben es nicht
getan. Ich wollte meinen Seelenfrieden. Ich wollte nicht zu Gerichtsterminen
und Dich sehen, wie Du Dich verteidigst. Und mir einmal mehr eingestehen, dass
Du Dich nicht für mich interessierst. Die Enttäuschung noch vergrössern.
Ich habe dann
irgendwie auf Durchzug geschaltet und alle Informationen zu Deinem Leben
gefiltert. Das kam alles nicht mehr an mich heran.
Trotz einem sehr
engen Kontakt zu Deiner Mutter, durften wir, also meine Mutti und ich, nicht zu
ihrer Beerdigung kommen, wir gehörten schliesslich nicht zur Familie. Nachdem
Omi nicht mehr da war, hörte ich nichts, rein gar nichts mehr von Dir.
Und dann, einige
Jahre später, fand meine Mutti eine Todesanzeige in der Zeitung. Du warst ganz
plötzlich gestorben, gerade mal 65 Jahre alt.
Ich war
enttäuscht, ich hätte Dir gern mal direkt in die Augen geschaut und gefragt,
warum Du Dich nie für mich interessiert hast. Die Reaktion hätte ich gern
gesehen.
Ich habe Deine
Frau angerufen, von der ich erfuhr, dass sie gar nicht mehr Deine Frau gewesen
ist, sondern dass Du sie mit ihrer besten und deutlich jüngeren Freundin
betrogen und dann auch sitzengelassen hast. Ein Punkt mehr, der mich nicht mit
der Vergangenheit versöhnt.
Sag mir, dass es doch alles gar nicht so war. Dass Du oft an mich
dachtest. Dass Du gern mehr Zeit mit mir verbracht hättest. Dass Du enttäuscht
warst, dass wir nie ein richtiges
Vater-Tochter-Verhältnis
hatten. Dass Du bereust, nicht mehr um mich gekämpft zu haben. Schick mir ein
Zeichen, ich werde es verstehen.
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