Es gibt wohl kaum ein Buch, das mich so sehr berührt wie dieses. Ich habe es noch nicht einmal zu Ende gelesen. Ich geniesse es und lese es bewusst langsam. Es gehört auch sicherlich nicht zu den Büchern, die man einfach verschlingt und so "runterliest". Im Grossen und Ganzen geht es um den Sinn des Lebens. Und das geht ziemlich an die Nieren.
Buch
Mitten im Unterricht steht der Lateinlehrer Raimund Gregorius auf und verläßt seine Klasse. Aufgeschreckt vom plötzlichen Gefühl der verrinnenden Zeit, läßt er sein wohlgeordnetes Leben hinter sich und setzt sich in den Nachtzug nach Lissabon. Im Gepäck hat er ein Buch von dem Portugiesen Amadeu de Prado, dessen Ausführungen über das Leben, über Liebe, Einsamkeit, Endlichkeit, Freundschaft und Tod ihn nicht mehr loslassen. Er macht sich auf die Suche nach den Spuren dieses faszinierenden Menschen. Langsam meint Gregorius zu ahnen, wer der Schriftsteller war. Doch was hat das für Konsequenzen für sein eigenes Leben? Kann man denn einfach so ausbrechen und alles Gewohnte hinter sich lassen? Dieser Roman ist ein vielstimmiges Epos von einer Reise nicht nur durch Europa, sondern auch durch unser Denken und Fühlen.
Mich haben viele Themen angesprochen, aber vor allem eines. Diese
Erkenntnis, die einen trifft, wie ein Blitz, dass man gewisse Dinge in
seinem Leben nicht mehr tun wird. Ich will nicht sagen, dass ein junger
Mensch dem Buch nichts abgewinnen kann, ganz im Gegenteil! Aber wenn man
der Lebensmitte nahe ist, wie ja auch die
Protagonisten, kann man gewissen Ängste und Gefühle wohl sehr direkt
nachvollziehen. "Und so könne man die Angst vor dem Tod beschreiben als
die Angst, nicht der werden zu können, auf den hin man sich angelegt
hat." (Seite 243)
"Der wirkliche Regisseur unseres Lebens ist der Zufall", lautet eine der
Zeilen, die dieser Amadeu de Prado in seinem Buch geschrieben hat.
Oder: Mundus ist
angekommen in Lissabon. Nach Stunden bleiernen Schlafs liest er wieder
in Prados Buch - die Stelle, wo dieser den Moment der bestandenen
Abschlussprüfung beschreibt, "jene Minuten auf dem Schulhof, in denen die Vergangenheit von uns abgefallen war, ohne dass die Zukunft schon begonnen hätte."
Den Punkt Null sozusagen, an dem (nochmals) alles möglich scheint, an
dem auch Prado eine ganz andere Richtung hätte einschlagen können als
diejenige, "die aus mir den gemacht hat, der ich nun bin".
Hier noch einige Zitate, die ich unbedingt für mich festhalten möchte:
"Ist es nicht in Wahrheit so, dass nicht die Menschen sich begegnen, sondern die Schatten, die ihre Vorstellungen werfen?"
"Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist - was geschieht mit dem Rest?"
IUVENTUDE IMORTAL. UNSTERBLICHE JUGEND.
In der Jugend leben wir,
als seien wir unsterblich. Das Wissen von der Sterblichkeit umspielt uns
wie ein sprödes Band aus Papier, das kaum unsere Haut berührt. Wann im
Leben ändert sich das? Wann beginnt das Band, uns enger zu umschlingen,
bis es uns am Ende würgt? Woran erkennt man seinen sanften, doch
unnachgiebigen Druck, der uns wissen läßt, daß er nie mehr nachlassen
wird? Woran erkennt man ihn bei den anderen? Und woran bei sich selbst? (S. 271)
Ich erzittere beim bloßen Gedanken an die ungeplante und unbekannte,
doch unausweichliche und unaufhaltsame Wucht, mit der Eltern in ihren
Kindern Spuren hinterlassen, die sich, wie Brandspuren, nie mehr werden
tilgen lassen. Die Umrisse des elterlichen Wollens und Fürchtens
schreiben sich mit glühendem Griffel in die Seelen der Kleinen, die
voller Ohnmacht sind und voller Unwissen darüber, was mit ihnen
geschieht. Wir brauchen ein Leben lang, um den eingebrannten Text zu
finden und zu entziffern, und wir können nie sicher sein, daß wir ihn
verstanden haben. (S. 318 f.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen